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  • Ina

Sein vs Ego

Ich habe das Gefühl lieben gelernt, wenn Worte einfach aus mir herausfließen wie von selbst. Es ist pure Leichtigkeit. Leider besucht mich dieses Gefühl derzeit nur selten. Ist es eine Schreibblockade? Bin ich zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt? Nimmt mich mein Coaching zu sehr in Anspruch? Liegen meine Prioritäten gerade woanders? Wird meine Energie andernorts gebraucht? Oder habe ich gerade einfach nichts zu sagen? Ich weiß es nicht. Fakt ist, das Schreiben geht mir gerade nicht so einfach von der Hand. Es ist als würde ein Teil von mir Winterschlaf halten. Ich spüre, dass das Schreiben nach wie vor Teil von mir ist, ich ihn nicht verloren habe. Er ist nur gerade inaktiv, aus Gründen, die ich nicht kenne. Ich kann nur mutmaßen. Weder möchte ich das, noch bringt es mich weiter. Dafür möchte ich über die Auswirkungen sprechen, was es für mich bedeutet, wenn meine Gabe schläft. Denn sie ist mein Anker. Sie unterstützt mich dabei mich zu strukturieren, das Chaos zu ordnen & aufzuräumen. Inzwischen habe ich nämlich begriffen, dass dieser Zustand nicht normal ist. Ich sollte mich nicht so fühlen müssen.


Mein Kopf ist zum Bersten vollgestopft! Voll von unausgegoren, in die Irre führenden, nicht fertig gedachten Gedanken, Ideen, Visionen, Träumen, Ängsten & was weiß ich nicht was. Größtenteils lose Enden. Es herrscht reinstes Chaos. Ähnlich einer japanischen Metro-Station zur Prime-Time. Jeder Gedanke ist davon überzeugt er wäre wichtiger, inspirierender oder wertvoller als der andere. Gedanken können unglaublich egoistisch & von sich eingenommen sein. Wenn ich dieses Selbstbewusstsein an den Tag legen würde, wäre ich nicht einmal halb so unsicher. Aber ich bin nicht meine Gedanken & das ist eine der wichtigsten Erkenntnisse der letzten Monate. Ich habe Gedanken, aber ich bin sie nicht. Ich bin die Beobachterin hinter meinen Gedanken. Klingt etwas seltsam, ist aber so. Leider gibt es da noch jemanden, der ordentlich mitmischt. Mein Ego. Es präsentiert mir so überzeugend, plausibel & omnipräsent den ein oder anderen Gedanken, dass ich immer wieder in die Falle tappe. Aber nur weil mein Ego der Überzeugung ist, ich habe mich gerade mit diesem oder jenem Thema zu beschäftigen, heißt das noch lange nicht, dass ich dem auch nachgehen sollte. Im Gegenteil – meist versucht mein Ego mich von dem abzulenken, was wirklich wichtig ist. Folglich etwas, was mir helfen würde mich weiterzuentwickeln. Kurz – Veränderung. Das Ego hat panische Angst vor Veränderung. Denn Veränderung bedeutet Gefahr. Und Gefahr kann den Tod bedeuten. Vor nichts Geringerem will es mich schützen. Davor will ein Ego jede*n beschützen. Leider ist es dabei extrem überfürsorglich, überängstlich & überempfindlich. Eine wahre Glucke wie sie im Buche steht. Anstrengend, aber irgendwie auch liebenswert.


Dennoch lenkt es mich aktuell so sehr ab, dass ich gerade nicht mal weiß, was mein Thema ist. Ich bin so lange einer falschen Fährte nachgejagt. Jetzt, wo ich dieses Thema losgelassen habe, ist da nichts mehr. Und doch ist da was. Ich weiß nur nicht was. Wie ich das meine? Ich habe es mir so erklärt. Im übertragenen Sinne ist der Mensch eine Zwiebel. In Laufe seines Lebens legt er Schicht für Schicht aus Erfahrungen, Gelerntem, Konditionierung, Mustern etc. um seinen Kern. Um wieder an den Ursprung zurückzukehren, muss Schicht für Schicht abgetragen werden. Dabei werden auf jeder einzelnen Schicht genau die Themen freigesetzt, die uns dazu bewogen haben die Schicht überziehen. Dabei muss es sich nicht zwangsläufig um Konflikte oder Traumata handeln, die aufgearbeitet werden müssen. Es kann sich auch um Erinnerungen handeln, die einfach gesehen & wahrgenommen werden möchten. Andere Beispiele können bisher unbekannte Charaktereigenschaften, ungeahnte Talente oder nicht ausgelebte Fantasien sein. Nähern wir uns der Auflösung, dem Abschluss der auf dieser Schicht anstehenden Themen, wartet meist eine Art Schlüsselaufgabe auf uns. Diese gilt es zu lösen, um zur darunterliegenden Schicht vordringen zu können.


Um das Ganze noch etwas komplexer zu machen, gamed sich unsere menschliche Zwiebel zusätzlich durch das Spiel des Lebens. Es wir zweidimensional. Statt immer nur weiter ins Zwiebelinnere vorzudringen, heben wir die Zwiebel entweder Ebenen nach oben, oder lassen sie nach unten purzeln. Ich für meinen Teil begegne gewissen Themen immer wieder, nur auf unterschiedlichen Leveln. Und am Ende eines jeden Levels wartet er, der Endgegner. Wenn ich es mit aufnehme, merke ich spürbar, dass sich meine Frequenz verändert. Ich habe ein höheres Level meiner Existenz erreicht. Im Kopf habe ich dabei immer wieder das alte Nintendo64 Spiel “Prince of Persia”. Die Vorstellung mich bereits durch alle Kerker-Level gegamet zu haben & mich jetzt auf dem Vormarsch im Palast zu befinden, heitert mich ungemein auf.

Natürlich kann man sich jetzt die Frage stellen, warum man sich die Mühe machen sollte zum Kern vorzudringen & eine unüberschaubare Menge an Leveln durchzuspielen bis man... Ja, was denn eigentlich? Die Antwort ist simpel – um sich selbst kennen zu lernen.


Ziel des Ganzen ist nichts anderes als herauszufinden, wer man ist & wer man sein möchte. Für mich persönlich ist das die wichtigste Aufgabe von allen, die wir als Menschen haben – zu seinem wahren Selbst zu finden. Das unterscheidet uns von allen anderen Lebewesen. Wir tragen die Fähigkeit in uns uns selbst erkennen zu können. Die Fähigkeit des Ich-Bewusstseins.

Wo liegt nun der Unterschied zwischen mehr im Sein oder im Ego leben? Versteht mich nicht falsch. Das Ego ist nichts Schlechtes. Es ist ein ebenso ein wichtiger Teil von uns wie das Selbst. Es macht uns menschlich, beschützt uns, zahlt unsere Rechnungen & gibt uns Identität. Jedoch leben wir – vor allem in der westlichen Welt – größtenteils in einer Dysbalance. Wir sind fast nur noch im Ego & fast gar nicht mehr im Sein. Und merken es nicht einmal. Genau darin besteht das Problem. Nicht im Ego selbst. Mir ist der Unterschied erst so richtig bei dem Thema Werte aufgefallen. All unserem Denken, Fühlen & Handeln liegen Werte zugrunde. Werte, die wir mehr oder weniger bewusst gewählt & unsere Art zu leben danach ausgerichtet haben. Beispiele dafür können Macht, Erfolg, Freiheit & Stärke sein, aber auch Geduld, Akzeptanz, Zuversicht & Wertschätzung. Die Wenigsten von uns sind sich über ihre wahren Werte wirklich im Klaren. Und ich wage sogar zu behaupten, dass nur ein ganz kleiner Prozentsatz sich jemals kritisch mit seinem eigenen Wertesystem auseinander gesetzt hat. Meiner Meinung nach ist vielen nicht bewusst, dass es dienliche & nicht dienliche Werte gibt. Ja, das klingt sehr schwarz weiß. Deshalb bevorzuge ich die in Unterteilung in intrinsisch & extrinsisch. Intrinsische Werte sind Werte, die aus uns selbst heraus geboren werden, die wir uns selbst erfüllen, direkt umsetzen, selbst kontrollieren & messen können. Dazu zählen bspw. Ehrlichkeit, Mut oder Geduld. Extrinsische Werte werden von außen zugeführt, bedingen ein Gegenüber. Das bedeutet wir machen uns von der Außenwelt abhängig & haben über ihre Erfüllung keinerlei Kontrolle. Beste Beispiele dafür sind Anerkennung, Vergnügen oder Aufmerksamkeit.


Vielleicht klingelt es bereits. Ja, die meisten von uns streben genau nach diesen Werten!

Ich nehme mich da keineswegs aus. Auch ich habe mein Leben lange nach extrinsischen Werte ausgerichtet. Besonders weil ich den Zusammenhang aus äußerlicher Abhängigkeit & mangelnder Kontrolle nicht verstanden habe. Wenn ich nicht ausreichend Anerkennung erhalten habe, war ich unglücklich, unzufrieden & teilweise sogar aggressiv. Und nein, die Lösung bestand nicht darin noch mehr zu malochen, um noch mehr zu beweisen wie toll ich bin. Nicht, dass ich es nicht versucht hätte. Die harte Wahrheit lautet aber, dass ich niemanden dazu zwingen kann, mich & meine Leistung anzuerkennen. Das liegt gänzlich außerhalb meiner Kontrolle. Die andere Person entscheidet. Ersetze ich den Wert “Anerkennung” durch bspw. “Wertschätzung” kann ich mir den Wert meiner Leistung selbst geben. Wenn ich mein Leben so gestalte, dass ich selbst voll & ganz hinter meiner Leistung stehe – also den Wert meiner Leistung sehe, schätze & anerkenne, ist es mir gar nicht mehr so wichtig, was andere dazu sagen. Noch deutlicher wird es beim Wert “Vergnügen”. Dem Ego geht es nicht darum uns langfristig & tiefgründig zufrieden zu stellen. Soweit denkt es nicht. Das Ego registriert – mir geht's schlecht – & sucht nach der schnellsten & einfachsten Lösung, um das Problem zu beheben. Das kann ein hemmungslos eskalierter Shoppingmarathon sein, bei dem wir mal wieder mehr Geld ausgegeben haben als gut für uns ist, zwei Riesen-Eimer Hägen Dazs-Eis von unserer Lieblingssorte bis uns kotzschlecht ist oder der nächste gnadenlose Koma-Suff. Eben alles, was hilft uns kurzfristig “besser” zu fühlen oder zu betäuben. Folgend eine kleine Auflistung.

  • Kaufrausch

  • Geld

  • Zucker

  • Sport

  • Party

  • Sex

  • Alkohol

  • Drogen

  • etc.

An all diesen Vergnügungen ist an sich nichts auszusetzen, wenn sie bewusst & mit den richtigen Zielen genossen werden. Wenn sie aber nur dem Zweck dienen uns besser fühlen zu wollen, die Leere zu füllen oder dem Unwohlsein zu entgehen, können diese Mittel zur Sucht verkommen.

  • Sucht nach Vergnügen

  • Sucht nach Ablenkung

  • Sucht nach Betäubung

  • Sucht nach Flucht

Leider kann ich da ganz gut mitreden… einige der Punkte auf dieser Liste habe ich selbst lange praktiziert. Und nichts davon hat mich langfristig zufrieden gestellt, geschweige denn glücklich gemacht. Eher im Gegenteil. Zum Glück habe ich die meisten dieser Praktiken inzwischen eingestellt oder zumindest die Absicht dahinter korrigiert. Seither ist mein Leben deutlich besser, soviel kann ich sagen. Mit anderen extrinsischen Werten habe ich noch deutlich mehr zu kämpfen. Dazu zählen bspw. Anerkennung, Aufmerksamkeit, Sicherheit & Gerechtigkeit. Vor allem die letzten zwei bereiten mir Kopfzerbrechen. Denn sie sind nicht ausschließlich extrinsisch. Sie lassen sich nicht einfach in eines von zwei Lagern stecken. Ich habe sie Grauzonen-Werte getauft. Dazu zählen auch Erfolg & Macht. In diesen Fällen kommt es ganz klar auf die eigene Definition der Werte an. Damit sind Metrik, Bedeutung & Kontrollierbarkeit gemeint.

  • Warum ist mir dieser Wert wichtig?

  • Was brauche ich, damit dieser Wert für mich erfüllt ist?

  • Wie führe ich mir diesen Wert zu?

Wenn ich bspw. beide Werte erst als erfüllt ansehe, wenn die Welt ein 100% gerechter & sicherer Ort geworden ist, werden sie mich mehr als nur todunglücklich machen. Wenn ich aber den Wert “Gerechtigkeit” für mich so definiere, dass ich andere Menschen gerecht behandeln möchte & er für mich als erfüllt gilt, wenn ich keinen Unterschied zwischen unterschiedlichen Herkünften, sexuellen Orientierungen, Geschlechtern etc. mache, dann habe ich es selbst in der Hand. Denn ich entscheide, ob mir eine Hautfarbe etwas ausmacht oder nicht – niemand sonst. Also gilt mein Wert als erfüllt, wenn ich merke, dass ich Menschen gleich behandle. Sicherheit kann ich für mich bspw. durch Selbstvertrauen ersetzen oder wenn mir Sicherheit nach wie vor ungemein wichtig ist, könnte ich die Erfüllung durch ein regelmäßiges Einkommen, das meine Lebenshaltungskosten & ein gewisses Maß an Freizeitaktivitäten finanziert, definieren. Wichtig ist, dass ich mir meiner individuellen Bedeutung dieses Wertes & des Rahmens, in dem sich mein Wert bewegt, bewusst bin. Um gleich der nächsten Argumentationsfront entgegen zu wirken – einen Wert zu 100% zu erfüllen ist reine Utopie. Es ist schlichtweg unmöglich. Es muss einem also bewusst sein, dass egal welche Kernwerte man für sich definiert hat, man nie 100% ehrlich, geduldig, gerecht, zuversichtlich, zuverlässig, achtsam oder was weiß ich sein wird. Und das ist auch gar nicht das Ziel. Es geht vielmehr darum das eigene Leben bewusst nach seinen definierten Werten auszurichten & nach ihnen zu leben. Folglich wird es einem auffallen, wenn man doch mal wieder geflunkert hat, um der Konfrontation zu entgehen. Oder wenn man doch mal wieder auf den Tram-Fahrer geschimpft hat, weil er es gewagt hat sich 3 Minuten zu verspäten. Oder wenn man doch mal wieder aufgrund von der Meinung anderer irgendjemanden vorverurteilt hat. Wenn einem genau diese Alltagskappeleien auffallen, ist das schon die halbe Miete. Die andere Hälfte wäre sich wohlwollend darauf aufmerksam zu machen, um es beim nächsten Mal besser zu machen. Ohne sich selbst in der Luft zu zerreißen, weil man sich nicht treu war. Das würde ich als "bei mir sein" bezeichnen.


“Es ist einfach, aber nicht leicht.” Ich habe bisher keinen Satz gefunden, der es treffender beschreibt. Rein rational scheint das wirklich kein Ding zu sein. Wert & Metrik definieren, Leben danach ausrichten, wohlwollend korrigieren. Fertig.


Aber das bedarf steter Übung, ehrlicher Selbstreflexion & einer große Portion Geduld. Vor allem geht es darum nicht ständig mit dem erhobenen Zeigefinger auf sich selbst zu zeigen. Da wäre zum einen wieder das Ego im Spiel & zum anderen würde uns schnell der Spaß an der Freude vergehen. Seitdem ich meinen inneren Kritiker erst umarmt & dann auf seinen Platz verwiesen habe, hat mein Selbst zum ersten Mal wieder Raum & Stille, um sich bemerkbar zu machen. Und siehe da, das Schreiben ist zu mir zurückkehrt.

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